Ich habe mir einmal einen Podcast von Chase Jarvis angehört in dem es um Toxic Productivity ging mit dem Gast Israa Nasir. Sie hat ein gleichnamiges Buch herausgebracht worin es darum geht, wie falsch verstandene und angewandte Produktivität eher schadet als das sie hilft. Aber darum geht es hier jetzt nicht, sondern um Fotografie. Im Verlauf des Podcasts brachte Chase ein interessantes Thema auf und zwar mit einem Zitat aus dem Buch – Der Vergleich ist der Dieb der Freude.

Er sprach hier speziell Social Media an. Wir bekommen Tag für Tag Perfektion präsentiert, nicht nur in der Fotografie, ein grandioses Bild nach dem anderen, sondern auch in anderen Bereichen. Das perfekte Haus, der perfekte Garten, das perfekte Gemälde. Wir sehen in zunehmenden Tempo immer wieder perfekte Bilder und lassen den langen Prozess des Erlernen und Beherrschen einer Fähigkeit ausser Acht. Wir sehen im Grunde das Resultat aus Versuchen, Scheitern, Lernen, nochmal versuchen erneutes scheitern und wieder lernen. Wieviele Stunden, Tage, Wochen oder Jahre brauchte der Fotograf um diese Fähigkeiten zu lernen und zu perfektionieren? Wir haben es nicht gesehen, wir waren nicht dabei, wir bewundern und vergleichen uns nur mit dem Endresultat dieser langen Reise. Als wir Menschen noch in kleinen Dörfern lebten, ohne Strom, fließend Wasser und die Menschen im Dorf die einzigen waren die wir kannten, sahen wir, wie jeder etwas lernte, welche Schwierigkeiten er dabei hatte. Wir konnten live mitverfolgen, wie er seine Fähigkeiten von Tag zu Tag verbesserte. Dies fehlt in unserer heutigen Gesellschaft.
Der Vergleich mit anderen ist wie Gift, er sorgt dafür, das du hasst, was du hast. Du siehst einen Fotografen auf YouTube der die neueste und teuerste Kamera hat, sagen wir mal, die Hasselblad Explorer Edition (Neidmodus an), plötzlich ist deine Kameraausrüstung nicht mehr gut genug, du willst was besseres, du möchtest was er hat. Hier kommt ein sehr alter Mechanismus zum tragen der tief in unserem Gehirn verankert ist. Unser Gehirn hat sich so entwickelt, dass es Vergleiche anstellt, es vergleicht um sicher zu sein, dass wir so sind wie die Anderen, dass wir nicht vom Säbelzahntiger gefressen oder von jemand anderen angegriffen werden.
Wir bekommen nicht nur die besten Werke der anderen zu sehen, nein, wir bekommen auch noch die Highlights in Form von Reels und Shorts präsentiert, das uns noch mehr Angst macht, schlecht zu sein, den Anschluss zu verlieren. Einfach nicht gut genug zu sein.

Ich bin da keine Ausnahme, früher noch stärker als heute, aber ich fühle mich immer noch von gewissen Dingen getriggert wenn ich sehe, was andere alles schaffen und zu Wege bringen. Ich frage mich dann, was habe ich falsch gemacht? Was macht der, was ich nicht mache? Ich beginne mich zu vergleichen ohne mich zu fragen, wie kam er dazu? Welche Umstände gab es in seinem Leben? Ist das überhaupt etwas, wonach ich streben möchte oder hat mein Gehirn unbewusst begonnen Vergleiche anzustellen? Vielleicht mag es euch nicht in der Fotografie betreffen, aber vielleicht in einem anderen Bereich des Lebens. Mich betrifft es, wenn ich sehe, wie andere Erfolg als Naturfotograf haben. Ich fühle mich dann eher als Versager ohne nachzudenken, oder zu spät darüber nachzudenken. Stellt man sich gnadenlos selber einige Fragen und beantwortet diese auch so gut und Wahrheitsgetreu wie es nur geht, kommt man oft zu dem Schluss, dass es oft nichts ist, was man eigentlich erstreben möchte. Man will es eigentlich gar nicht.
Je mehr man sich mit anderen vergleicht, desto weniger beschäftigt man sich mit seinen eigenen Werten. Für mich trifft das vielleicht weniger auf Ausrüstung und finanziellen Erfolg zu, aber wenn ich sehe, das Thomas Heaton sein Mongolei Abenteuer auf YouTube zeigt, sein 5-tägiges Kanuabenteuer oder all die Camper und Overlander, da hab ich so meine Probleme mich nicht unbewusst mit ihnen zu vergleichen. Ich hatte meine Abenteuer und hab sie noch. Aber vielleicht nicht in dem Ausmaß. Die Frage ist, warum? Vieles liegt an geografischen Gegebenheiten. Wenn ich mir meine Outdoor Freunde auf YouTube ansehe und wo sie überall campen und ein Lagerfeuer entfachen, fange ich zu träumen an. Dies ist in Österreich einfach nicht möglich. Eine Sehnsucht entsteht, die ich in meinem Alltag nicht so schnell umsetzen kann. In Amerika und Kanada sind einfach die Gegebenheiten vorhanden um an einem Wochenende der Realität und dem Trubel des Lebens zu entfliehen und sich in eine unberührte Natur zu schlagen. Abends alleine am Lagerfeuer zu sitzen und die Wildnis um einen herum zu geniessen. Dieses habe ich auf meinen Reisen in den Norden genossen. Camping in Österreich sieht hier leider etwas anders aus und trifft so überhaupt nicht meine Vorstellung. Deswegen geniesse ich jede Minute wenn ich im hohen Norden unterwegs bin, was leider viel zu selten der Fall ist. Aber sieht man jede Woche wie jemand die Zeit seines Lebens hat, kommt Neid und Sehnsucht auf. Man vergisst was man selber hat und welche Möglichkeiten man anstelle nutzen könnte. In Österreich haben wir ein hervorragendes Netz an Berghütten die man für kleine Fotoabenteuer hervorragend nutzen könnte. Nur verdrängt man dies, weil man das haben möchte, was die anderen haben.
“Je weniger du mit den Dingen verbunden bist, die du wirklich willst, desto mehr wirst du dich mit Anderen vergleichen“
Lerne die Dinge, die Möglichkeiten die dir zur Verfügung stehen, mehr zu schätzen und vor allem mehr zu nutzen. Eines ist klar, durch Sehnsucht alleine wird man nichts erleben. Man muss aktiv werden, etwas unternehmen. Plane einen Wochenendtrip, gehe in die Berge, suche dir einen netten Campingplatz oder fahre einfach wohin um einen tollen Tag mit der Fotografie zu verbringen.

Zu lernen, die Realität zu akzeptieren, seine Möglichkeiten im Leben so gut es geht zu nutzen. Der Alltag ist oft anstrengend genug, man braucht nicht noch Druck von unrealistischen Vergleichen mit anderen, die irgendwo ein völlig anderes Leben führen. Die eine ganz andere Ausgangslage haben. Beschäftige dich mit deinen Werten und was du wirklich vom Leben möchtest und wappne dich so gegen den Vergleich. Nur so kannst du es verhindern, dass du dein Leben abwertest, dich schlecht fühlst oder Dingen und Ideen nachläufst, die in deinem Leben eigentlich gar keinen Platz haben.
Ich habe vor Jahren den Begriff Mikroabenteuer gehört und seitdem versuche ich, wenn immer es mir möglich ist, solche Mikroabenteuer zu erleben. Ich entfliehe in eine eigene Welt. Wenn ich nur einen Tag zur Verfügung habe, gestalte ich ihn so als würde ich irgendwo auf der Welt unterwegs sein. Ich habe meine Campingbox mit dabei, meinen Campingstuhl und Tisch. Auch wenn vielleicht das nächste Restaurant oder Supermarkt nur 20 Minuten entfernt liegt, es ist einfach ein so erfüllendes und befriedigendes Gefühl, sich einen frisch gebrühten Kaffee zuzubereiten und die Zeit zu genießen. Man packt zusammen und macht sich wieder auf den Weg nachhause.
Erlebe die Abenteuer die dir Freude machen und in deinen Möglichkeiten liegen.
Hier der Link zum Podcast: https://chasejarvis.com/blog/toxic-productivity-is-killing-your-success/
Hallo Jürgen
Ich finde deine Erklärungen für das „Problem “ sehr gut erklärt.
Ich habe für mich ein Motto gefunden das man oft anwenden kann.
„Reich ist nicht der der viel hat sondern der der wenig braucht “
Vielen Dank für deine Filme von Hans
Der Podcast damals hat mich angehalten, darüber mal mehr nachzudenken. Über sich selbst und warum man was macht. Ganz Spannend was dabei so ans Tageslicht gelangt 😅
Grüße Jürgen
Hallo Jürgen!
Mit diesem jüngsten Beitrag von dir sprichst du sicherlich vielen Menschen und Hobby- Fotografen aus der Seele. Auch mir als inzwischen 61-jährigen ist es früher wie ich auch noch jünger, war oft so gegangen. Selbstzweifel ob man überhaupt so gut werden kann und warum hat man nicht die Möglichkeiten anderer sogenannten Erfolgreichen usw., so wie du es angesprochen hast, haben mich geplagt.
Mit dem älter werden, wurde dieses Denken bei mir anders und ich habe mich auch über Mikroerfolge, die noch immer weit entfernt von denjenigen waren, deren Fotografien ich sehr bewunderte, gefreut.
Ich weiß, ich brauch dich jetzt nicht aufmuntern, da du selbst über deine fotografischen Qualitäten Bescheid weißt, aber ich bin der Meinung, dass du auf einem sehr hohen Niveau bist und ich für mich aus deinen Beiträgen viel mitnehmen kann. Aber ich für meinen Teil habe nach wie vor von Jugend an die Freude an der Fotografie nie verloren, auch wenn ich manchmal wenig bis gar keine Zeit für dieses schöne Hobby hatte.
Jedenfalls lese ich deine Beiträge immer mit Interesse und sehe mir deine YouTube Beiträge gerne an. Du zeigst doch immer, wie man auch aus den Gegebenheiten „vor der Haustür“ tolle Bilder machen kann und das bewundere ich auch sehr an dir.
Es gäbe in dieser Hinsicht noch viel zu schreiben, aber das war wohl das Wesentlichste.
Ich wünsche weiterhin viel Erfolg und auch allen anderen Lesern, dass sie zwar kritisch bleiben, aber sich auch über ihre eigenen, vielleicht auch nur Mikroerfolge, freuen.
Beste Grüße
Alexander aus Igls bei Innsbruck
Hallo Alexander,
vielen Dank für deinen Kommentar! Freut mich auch zu hören, dass dir meine Beiträge gefallen und natürlich auch meine YouTube Videos.
Das stimmt schon, je älter man wird, desto weniger versucht hat man sich im Wettstreit sich zu beweisen, man lässt sich weniger einschüchtern oder ärgern. Man wird gelassener und erkennt, was man wirklich gerne tun möchte und läßt all die anderen Dinge los.
Wünsche dir ebenfalls noch eine schöne restliche Woche
Grüße Jürgen