Es hiess wieder zeitig aufstehen, so wie immer. Und wieder hätte ich es fast verpasst, so wie immer. Gegen 4:00 Uhr morgens habe ich auf die Uhr gesehen und war beruhigt das ich noch eine Stunde Zeit hatte. Ich drehte mich kurz um und als ich wieder auf die Uhr sah war es tatsächlich schon 5:15 Uhr. Schnell raus bevor das Ganze ohne mich anfängt. Leise zog ich mich an um die anderen nicht zu wecken. Als ich aus der Hütte trat, wusste ich es. Das wird heute nichts. Grauer Himmel und leichter Regen, fast nicht zu spüren aber er war da. Ich marschierte also los zu meinem Hügel, überlegte kurz und baute dann meine Kamera auf. Vielleicht passiert ja noch was. Aber es blieb trostlos. Ich wartete noch bis zum Sonnenaufgang der um ca. 6:00 Uhr stattfinden sollte und als der Regen dann heftiger wurde, brach ich das Vorhaben “Sonnenaufgang“ ab und kehrte zur Hütte zurück. Ich genehmigte mir ein Frühstück und heissen Kaffee. Der Regen wurde immer mehr und die Wolken hüllten die Landschaft in einen undurchdringlichen Schleier. Durch das Fenster der Hütte starrte ich auf eine weisse Wand. Das war für den Abstieg nicht die beste Voraussetzung.
Ich wartete also, bis sich die Situation etwas besserte, bevor ich mich wieder auf den Weg in das Tal machte. Es lockerte auf und auch der Regen ließ allmählich nach. Ich war noch nicht lange auf dem Weg unterwegs da brach die Sonne durch die Wolkendecke und zauberte eine fantastische Lichtstimmung auf die Berge. Ein Fotostopp. Große Wolkenfelder schmiegten sich an die Berghänge und schoben sich langsam über die Gebirgskämme. Ein atemberaubendes Schauspiel und wundervoll zu fotografieren. Ich mochte wie die Wolken die Berggipfel teilweise einhüllten. Es kreierte eine sehr spannende Stimmung. Bei wolkenlosem Himmel wäre es eine ganz normale Bergszene gewesen. Erst solche widrigen Wetterverhältnisse können traumhafte Stimmungen hervorbringen, können eine normale oder langweilige Landschaft in ein Juwel verwandeln. Hätte es an diesen Morgen nicht zugezogen, wären keine Wolken da gewesen um die Berge mit einem Zauber aus Restwolken zu umhüllen. Diese Lichtstimmung hielt eine zeitlang an und ich konnte mich ausgiebig damit beschäftigen. Als das Licht dann etwas abnahm und eher uninteressant wurde, marschierte ich weiter. An diesem Tag blieb es überwiegend bedeckt und frisch, was mir aber ganz gut passte. Es war angenehm zu wandern.
Schon am Vortag fiel mir eine alte Ruine auf. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass es sich tatsächlich um eine Ruine handelte, aber auf der Adamekhütte las ich die Geschichte dazu. Mir war klar, beim Abstieg musste ich mir diese Ruine genauer ansehen. Die Grobgesteinshütte war 1878 die erste Hütte in dieser Region und diente damals Bergsteigern als Ausgangspunkt zum Gletscher und Hohen Dachstein. Bergsteigen war damals noch nicht salonfähig und wurde noch als etwas besonderes und als großes Abenteuer angesehen. Dementsprechend war die Hütte eher spartanisch. Der Wind pfiff durch die groben Steinwände und durch das Dach kam der Regen. 1885 wurde sie saniert um den Aufenthalt etwas angenehmer zu gestalten. Als die Adamekhütte gebaut wurde ließ man die Grobgesteinshütte zu Gunsten der Adamekhütte auf. Bis zuletzt diente sie noch als Unterkunft für die Arbeiter der Adamekhütte.
Ich bin immer fasziniert von alten Bauten oder anderen Geschichtsträchtigen Einrichtungen. Die Hütte war für 10 Personen geplant und sieht man sich die Größe an war das schon ziemlich klein. Wie mag es wohl damals gewesen sein solche Hütten zu bauen, darin zu übernachten, keinen Strom, keinen Elektroofen zu haben. Heute habe ich, auf über 2000 m, LTE Empfang. In der Adamekhütte sieht man Gäste mit Smartphones herumlaufen, auch mich. Damals war es noch schwierig am Abend bei Kerzenschein ein Buch zu lesen.
Leider war von dieser Hütte nicht mehr viel übrig. Sie ist nurmehr ein Schatten der Vergangenheit, ein nebelverhangener Blick in fast vergessene Zeiten. Reste der Mauer und die Fuge im Felsen wo das Dach eingelassen war, waren noch zu erkennen. Zerstörte man sie oder war es ein natürlicher Verfall? Aber wo sind dann die Reste des Daches und andere Dinge hin verschwunden? Wenn man sie zerstörte und abtrug, warum? Warum lässt man sie nicht stehen als Geschichte zum anfassen? Ich erinnerte mich an die Hütte im Yoho Nationalpark in Kanada. Sie wurde ebenfalls Anfang des 20 Jahrhunderts erbaut und man bemühte sich, sie so gut wie möglich zu erhalten. Man sah noch den Ofen, die Fenster und andere Dinge die man liegen ließ. Es war interessant sie zu erforschen. Hier, bei der Grobgesteinshütte, brauchte man schon viel Fantasie um sich ein Leben in der Hütte vorzustellen.
Nach dieser Hütte ging es weiter über ein paar felsige Abschnitte die durch den Regen ziemlich rutschig waren. Nach diesem Abschnitt kam ich wieder in den Urwald ähnlichen Teil des Weges. Und dann stand ich wieder vor meinen Kühen! Es schien, als seien an diesem Tag alle Kühe auf dem Pfad unterwegs. Ich schlich langsam an ihnen vorbei und machte mich auf Richtung Hinteren Gosausee.
Ich wollte auf meinem Rückweg dieses Gebiet ja genauer erkunden und so ließ ich mir Zeit. Der hintere Gosausee war bei diesem Licht nicht besonders interessant, auch der Vordergrund den ich gewählt hatte war alles andere als fotogen. Aber dafür entschädigte mich die Gosaulacke. Die Farbe Grün war hier dominierend, herrliche Bäume am Uferrand, riesige Steine und Felsen die sich unter dem flachen Wasser aufreihten. Das Gebirge im Hintergrund spiegelte sich im smaragdgrünen Wasser. Es war ein Paradies und ich verbrachte hier einige Zeit um mich mit diesen Einrücken zu spielen. Ich weiss nicht warum, aber es erinnerte mich irgendwie an Alaska. Nach dem morgendlichen Regen wirkte alles frisch und saftig. Die Farben intensiv und die reine Luft füllte meine Lungen. Mich faszinierten vor allem die Felsen unter dem Wasser des Sees oder Teiches. Sie lagen nur knapp unter der Wasseroberfläche und kreierten ein herrliches Muster, als ob man darauf gehen könnte. Die Wasseroberfläche selbst war spiegelglatt was das Arbeiten mit Reflexionen erleichterte und so probierte ich alles aus. Spiegelung des Gebirges, Spiegelung von Blättern der Bäume oder fokussieren auf die Steine unter dem Wasser. Man hat hier unzählige Möglichkeiten Motive zu finden. An diesem Platz kam mir immer wider Alaska in den Sinn. War es die Wetterstimmung die ich mit diesem Land verbinde, die Landschaft, oder die Tatsache das ich gerade meinen Alaska Trip für nächstes Jahr plane?
Nach diesen zwei herrlichen, aber doch etwas anstrengenden, Tagen machte ich mich wieder auf Richtung Zuhause, voller Ungeduld die Ausbeute auf dem großen Bildschirm zu betrachten.